Sylvia/Maximilian BALTER
Sylvia Balter wurde am 19.2.1902 in Czernowitz/Bukowina als Tochter des Ignaz und der Cäcilie/Czarne Balter (geb. Reder) geboren. Sie hatte zwei Geschwister, Sidonie (geb. 28.7.1897) und Maximilian (geb. 5.12.1905).
1909 übersiedelte die Familie Balter nach Wien und zog 1911 in das eben erst fertig gestellte Hinterhaus (Hoftrakt) der Großen Stadtgutgasse 34 (Tür 5).

Auf gute Ausbildung wurde in der Familie sichtlich großer Wert gelegt. Sidonie studierte Klavier an der Akademie für Musik und darstellende Kunst, Maximilian ebendort Schauspiel und parallel dazu an der Universität.
Sylvia Balter selbst war nach dem Besuch eines Mädchengymnasiums im kaufmännischen Beruf tätig und begann 27-jährig mit dem Studium der Germanistik und Anglistik (in Verbindung mit Philosophie) an der Universität Wien, das sie mit einer Dissertation (1934, bei Prof. Castle) zu Isolde Kurz abgeschlossen hat.

Ab August 1934 war Sylvia Balter in der Zweigstelle Praterstraße 74 der Wiener Arbeiterbüchereien zunächst als Mitarbeiterin und ab 1.9.1936 als Leiterin tätig. In der Zeit des Austrofaschismus als Jüdin eine rare Ausnahme. Laut Inspektionsbericht war es eine Zweigstelle mit 90% jüdischer Leserschaft. Ihre spesenvergütete ehrenamtliche Tätigkeit endet mit (wohl erzwungenem) Rücktritt per 23.3.1938, „da sie den Bedingungen für eine Beschäftigung in öffentlicher Funktion nicht entspricht". (1)

Nach dem Auszug von Sidonie (2), dem Tod ihres Vaters (1922) und ihrer Mutter (1937), teilten sich Sylvia und Maximilian, beide noch ledig, die Wohnung in der Großen Stadtgutgasse 34. Aus dieser wurden sie im November 1938 (die Meldung endet mit 10.11., also am Tag nach der „Reichskristallnacht") vertrieben. Zusammen fanden sie Unterschlupf bei deren Tante am Czerninplatz 4. Die drei mussten sich ein Zimmer teilen, denn drei weitere Kabinette der Wohnung waren bereits an Fremde vermietet. (3)

Arbeits- und mittellos konnte Sylvia Balter nur über Nachhilfestunden und die Ausspeisung der Israelitischen Kultusgemeinde die Zeit bis zur möglichen Flucht überbrücken.
Mitte Mai 1939 gelang es ihr, ein Visum für England zu bekommen und auch die notwendige Finanzierung ihrer Flucht durch die Kultusgemeinde. Anfang Juni konnte sie schließlich ihre Reise antreten.

Nach Kriegsbeginn wurde sie - wie die meisten österreichischen Flüchtlinge in England - zur Klärung ihres Flüchtlingsstatus kurzzeitig auf der Isle of Man interniert und konnte dann zunächst in den Midlands (Wolverhampton) eine Stelle als Haushälterin bekommen. Später fand sie eine Anstellung in der Zentrale des von Robert Maxwell gegründeten Wissenschaftsverlags „Pergamon Press" in Oxford, wo sie bis zu ihrer Pensionierung blieb.

Jeannette und Hermann Heinz Engel (ca. 1927) Sylvia Balter hat die letzten Lebensjahre bei der Familie ihrer Nichte in Hoveton/Norfolk verbracht und ist im Alter von 91 Jahren am 2.5.1993 in einem Spital in North Walsham/Norfolk verstorben. (4)

Maximilian Balter ist am 5.12.1905 ebenfalls in Czernowitz/Bukowina geboren und war offensichtlich vielseitig begabt. Er besuchte zunächst das Gymnasium in der Kleinen Sperlgasse und wechselte in der 7. Klasse in das Bundesreformrealgymnasium in Wien 8, das er mit Auszeichnung abschloss. Anschließend studierte er 8 Semester an der Universität Wien als ordentlicher Hörer der Philosophischen Fakultät (Deutsche Literatur, Philosophie/Psychologie, Kunstgeschichte) und parallel dazu Schauspiel an der Akademie für Musik und darstellende Kunst bei Armin Seydelmann. 1931/32 besuchte er auch das Max Reinhardt-Seminar.

Anfangs noch überlappend mit seinem Studium (bis 1927) war er Ensemblemitglied beim Deutschen Volkstheater (Spielsaisonen 1926/27, 1927/28 und 1929/30), beim Stadttheater Meißen (1928/29), beim Stadttheater Aussig a.d.E. (1930/31), beim Stadttheater Innsbruck (1932/33) und beim Exiltheaterensemble „Die Komödie“ in Luxemburg (1935/36; mit Auftritten im Stadttheater Luxemburg). Zuletzt hatte er noch Engagements bei zwei Wiener Kleinbühnen, dem „Theater für 49“ und „Das moderne Theater am Schwarzenbergplatz“ (1936 und 1937).

Laut eigenen Angaben war er auch als Sekretär und Journalist tätig.

Auch er hat sich, wie seine Schwester, bereits seit Mai 1938 um eine Fluchtmöglichkeit bemüht, offenbar aber kein Visum für eines seiner gewünschten Länder bekommen. Ebenfalls völlig mittellos erhielt er schließlich seitens der Auswanderungsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde Ende Juli 1939 eine Fahrkarte nach Mailand.

Bis August 1939 war es offenbar (trotz Einführung der italienischen Rassegesetze im Herbst 1938) immerhin noch möglich, in Italien mittels Touristenvisum einzureisen und sich bis zu sechs Monate legal im Land aufzuhalten.

Wohl war für Max Balter, wie für viele andere auch, das faschistische Italien nur als Station für einen weiteren Transit gedacht. Sichtlich ist es ihm aber nicht mehr gelungen, Italien vor Kriegseintritt am 10.6.1940 (etwa über einen der Häfen) zu verlassen. Danach wurden jüdische Flüchtlinge nämlich mit „Angehörigen von Feindstaaten" gleichgestellt und in so genannten „Konzentrationslagern" interniert. So auch Maximilian Balter und mit ihm Walter Frankl, der Bruder seines Schulfreundes Viktor Frankl. (5) Seit dem ersten Tag der Ankunft Balters in Mailand zusammen, wurden beide am 20. Juni 1940 im Zuge einer Razzia in einem öffentlichen Park festgenommen und in das Staatsgefängnis San Vittore gebracht wo sie zwei Wochen zusammen eine Zelle teilten. Beide wurden am 5.7.1940 in das Internierungslager Campagna in der Provinz Salerno überstellt. (6) Von dort kamen sie offenbar Ende August 1940 in das an der Bahnlinie Ancona – Bari gelegene Internierungslager Tortoreto Stazione in der Region Abruzzen. (7)

Alois Gogg und Max Balter in Tortoreto Stazione (1941) Aus der Zeit in dem fast ausschließlich mit deutschen und österreichischen Juden belegten Lager sind noch Freundschaften Max Balters und Walter Frankls zu weiteren Flüchtlingen dokumentiert. Darunter Alois Gogg, Saul Steinberg, oder auch Emil Bahsel, deren Wege sich aber teilweise schon bald trennen sollten. (8)

Max Balter war bis zur Auflösung des Lagers (im Sommer 1943) in Tortoreto interniert und ist dann nach Istonio Marina, dem heutigen Vasto in der Provinz Chieti, ebenfalls Region Abruzzen, verlegt worden. (9) Offenbar ist es ihm in Folge gelungen freizukommen und vor den anrückenden Nationalsozialisten in die Berge zu flüchten. Von den Deutschen verfolgt, gelang es ihm, sich auf die Seite der Alliierten durchzuschlagen. Ab dem Winter 1944 befand er sich jedenfalls im UNRRA-Camp (IT 34) für Displaced Persons in Santa Maria al Bagno in Apulien. Immer noch auf eine Emigrationsmöglichkeit in die USA oder die Schweiz wartend (eine Repatriierung hat er zunächst entschieden abgelehnt), wurde er nach knapp drei Jahren (im März 1947) in ein anderes UNRRA-Camp (IT 197) nach Palese nahe Bari und Ende 1947 schließlich in ein DP-Lager der IRO (der Nachfolgeorganisation der UNRRA) in Cinecittà/Rom verlegt. (10)

Ohne Hoffnung auf eine baldige Einreisemöglichkeit in die USA nahm Balter das über Vermittlung des Dienstgebers seiner Schwester Sylvia angebotene Permit der Firma Goodyear in Birmingham an und reiste am 20. April 1948 nach England ein. Zusammen mit seiner Schwester wohnte er in Wolverhampton, konnte aber in England nicht heimisch werden. Angesichts der geistig anspruchslosen und körperlich anstrengenden Arbeit als Magazineur in der Reifenfabrik hatte er deshalb kurzzeitig in Betracht gezogen, nach Italien oder zuletzt sogar nach Österreich zurückzukehren. (11)

Offenbar ohne Aussicht auf eine Arbeitserlaubnis oder Arbeitsmöglichkeit in adäquaten Bereichen in England, Italien oder Österreich, ist Max Balter Anfang Juli 1950 in die USA ausgewandert. Er ließ sich in Manhatten/New York nieder, fand eine Anstellung bei einem Transportunternehmen und heiratete eine ehemalige Sekretärin beim Nürnberger Prozess. Möglicherweise konnte er die Erlebnisse aus der Nazizeit und die Umstände und Folgen der erzwungenen Emigration nie überwinden. Im April 1960 hat er Selbstmord verübt. (12)

Die Situation in Italien und die „Campi di concentramento"

Italien hatte nach 1933 einer beachtlichen Zahl an Juden aus dem Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus Aufnahme geboten und duldete sie noch mit Kriegseintritt in ihren Grenzen, obwohl seit Herbst 1938 auch hier antisemitische Rassegesetze in Geltung waren. Die Internierung in so genannten „Campi di concentramento" bedeutete aber eine Verschärfung der gegen sie gerichteten Verfolgung.

Insgesamt entstanden ca. 40 meist kleine Internierungslager (mit ca. 50 bis max. 1.500 Personen) für Ausländer. Diese „Campi di concentramento" waren nicht mit den nationalsozialistischen Konzentrationslagern vergleichbar. Die Lebensbedingungen dort waren hart und entbehrungsreich, Misshandlungen kamen aber nur vereinzelt vor. Die ärztliche Betreuung war gewährleistet, die Sterblichkeit überstieg jene der ortsansässigen Bevölkerung nicht. Sofern sie sich nicht selbst unterhalten konnten, wurde den Internierten ein knapp bemessenes Taggeld gewährt. Sie hatten beschränkt freien Ausgang und durften ihre religiösen Traditionen fortführen.
Aus diesen Lagern heraus war die Emigration bis zur deutschen Besetzung weiterhin möglich, das entscheidende Hindernis dafür bildeten aber - auch kriegsbedingt - die Schwierigkeiten ein Aufnahmeland zu finden.

Die Haltung der italienischen Zivilbevölkerung den Juden gegenüber unterschied sich deutlich von jener im nationalsozialistischen Deutschland und Österreich. Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit waren - trotz antisemitischer Propaganda - kaum vorhanden, den jüdischen Flüchtlingen stand die Bevölkerung fast durchwegs mit Wohlwollen gegenüber. (13)

So lange Italien seine Souveränität bewahrte, blieben die Juden von Deportationen in Todeslager verschont. Erst während der deutschen Besetzung nach dem Sturz Mussolinis (im Juli 1943) wurde deren systematisch vorangetriebene Vernichtung auch auf Italien ausgedehnt. Dort selbst gab es ein Vernichtungslager (Risiera die San Sabba in Triest). (14)


Dokumente



Anmerkungen:
(1)Die Angaben sind den Archivunterlagen der Büchereien Wien entnommen. Einen kurzen Überblick zur Entstehungs- und Wandlungsgeschichte der städtischen Büchereien findet man unter https://buechereien.wien.gv.at/B%C3%BCchereien-Wien/%C3%9Cber-uns/Geschichte (27.2.2023). Zur Situation der Bibliotheksmitarbeiterinnen während des Austrofaschismus mit Kurzbiographien (darunter auch einer zu Sylvia Balter) siehe Gisela Kolar: „Bereit, jede Arbeit zu leisten?" - Bibliothekarinnen in den Wiener Arbeiterbüchereien nach 1936. In: Korotin, Ilse/Stumpf-Fischer, Edith (Hrsg.): Bibliothekarinnen in und aus Österreich. Der Weg zur beruflichen Gleichstellung. Wien 2019, S. 112-151 und 511f.
(2)Sidonie heiratete 1919 und zog kurzzeitig nach Berlin, wo ihre Tochter Elizabeth zur Welt kam. Zurück in Wien verbrachte sie hier noch einige Zeit, bevor sie ihrem Mann (1922) in das Gebiet des ehemaligen Deutsch-Ostafrika und heutigen Tansania folgte. Diese, wie auch andere Angaben zur Familiengeschichte sowie das eingefügte Foto der Geschwister Balter verdanken wir Yochanan Ben-Daniel, einem Enkel von Sidonie Balter. Siehe seinen Beitrag zur Familiengeschichte unter „Dokumente".
(3)Diese Aussagen, wie auch andere zur persönlichen Situation von Sylvia und Maximilian Balter vor und nach dem „Anschluss" basieren auf Angaben im Fragebogen der Fürsorge-Zentrale der IKG/Auswanderungsabteilung, sowie den angeschlossenen Bearbeitungsblättern dazu.
Die Tante von Sylvia und Max Balter, Fanny Reder, geb. 12.6.1880 in Czernowitz, konnte offenbar nicht mehr flüchten und wurde am 9.4.1942 nach Izbica deportiert.
(4)Die Spur dazu haben wir über den „England & Wales Death Index" (www.ancestry.co.uk) gefunden, die konkreten Angaben sind einer Kopie der Sterbeurkunde entnommen.
(5)Max Balter und Viktor Frankl hatten von der 1. Klasse an gemeinsam das Gymnasium in der Kleinen Sperlgasse besucht. Obwohl Balter in der 7. Klasse in das Bundesreformrealgymnasium im 8. Bezirk gewechselt war, blieb er mit einigen seiner ehemaligen Schulkollegen aus dem „Sperleum“ weiterhin verbunden. Neben Viktor Frankl waren dies nachweislich Eugen Hofmann und Felix Grünberger. Obwohl durch die erzwungene Emigration verstreut (Eugen Hofmann war in die USA, Felix Grünberger, Arzt, nach Shanghai emigriert) blieb der Kontakt auch nach Kriegsende aufrecht. Die engen Freundschaften Balters zu Viktor Frankl und dessen Bruder sowie jene der Schulfreunde untereinander sind in einem regen Briefverkehr (1946-1949) zwischen Balter und V. Frankl im Viktor Frankl-Archiv dokumentiert.
(6)Gegenstand der ersten Briefe von Balter an Viktor Frankl war u. a. das Schicksal dessen Bruders Walter. Walter Frankl war vor seiner Vertreibung aus Wien als Innenarchitekt und Möbeldesigner (unter dem Künstlernamen Walter Franke) tätig. Siehe dazu Veronika Pfolz: Nach Italien emigriert – drei Künstlerinnen und Künstler. In: Zwischenwelt, Jg. 22, Nr. 1/2 (August 2005), S. 61f. Veronika Pfolz war aber offenbar nicht bewusst, dass es sich bei Walter Frankl um den Bruder Viktor Frankls handelte.
Im Brief vom 23.4.1946 berichtete Balter kurz über die gemeinsame Zeit mit Walter Frankl in Mailand und in den Lagern Campagna und Tortoreto. Das Datum der Verhaftung und Anhaltung Balters im Staatsgefängnis wird auch über ein Schreiben des Archivio di Stato di Milano mit Bezug auf das Gefängnisregister von San Vittore bestätigt.
Ein gemeinsamer Bekannter aus der Zeit in Mailand war Max Sipser, ein Reklamezeichner und Karikaturist aus Wien. Auch er hielt sich im Lager Santa Maria al Bagno auf, bevor er im Juli 1944 mit seiner Frau in die USA emigrieren konnte.
(7)Eine kurze Lagerbeschreibung sowie eine Liste der Internierten (ohne Datumsangabe) von Tortoreto Stazione findet sich im Buch von Costantino Di Sante: Dall'internamento alla deportazione. I campi di concentramento in Abruzzo (1940-1944). Mailand 2001. Online unter http://www.associazioni.milano.it/aned/libri/di_sante.htm (27.2.2023). Laut eines Auszugs des Archivio Centrale dello Stato gibt die Liste den Stand 21.9.1940 wieder.
(8)Alois Gogg war ein wegen einer Heirat zum Judentum konvertierter, 1939 aus Graz vertriebener Geiger und Dirigent, der die Lagerinsassen offenbar mit seiner Musik erfreute und einigen (etwa Max Balter) auch Violinunterricht erteilte. Alois Gogg konnte im Juni 1941 mit Hilfe einer jüdischen Gruppe aus Schweden über Portugal in die USA emigrieren, wo er sich freiwillig zur US-Armee meldete und seinen Namen in Milton Franklin Weber änderte. Nach dem Krieg war Milton Weber Professor für Violine und Musiktheorie am Carroll College, einer privaten Universität in Waukesha/Wisconsin sowie Gründer und Leiter des Waukesha Symphony Orchestra. Ab 1957 auch Leiter des „Music for Youth“ Projektes in Milwaukee, wechselte er 1962 (nach Erhalt des Ehrendoktortitels vom Carroll College) als Professor für „Advanced Conducting“ an das dortige Institute of Fine Arts der University of Wisconsin.
Infolge der Scheidung von seiner ersten Frau und neuerlichen Heirat, zog sich Weber 1966 aus all seinen Funktionen in Wisconsin zurück. Er übersiedelte nach Nevada, wo er 1967 schließlich als Professor für „Advanced Conducting“ an das College of Performing Arts der Roosevelt Universität in Chicago geholt wurde. Seiner Berufung zum Leiter des Kenosha Symphony Orchestra konnte er nicht mehr Folge leisten, er verstarb 1968 kurz vor dem Antrittskonzert. Die Informationen darüber wie auch das im Text eingefügte Foto verdanken wir der Witwe und der Tochter von Milton Weber. Siehe auch den Artikel im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00003217 (27.2.2023).
Gemeinsamer Mitgefangener und Kamerad war eine Zeit lang auch Saul Steinberg, welcher aus Rumänien stammte und sich schon seit 1933 zwecks Architekturstudiums in Italien aufgehalten hatte. Er konnte gleichzeitig mit Alois Gogg im Juni 1941 emigrieren, musste allerdings einige Zeit in Santo Domingo überbrücken, ehe er (im zweiten Anlauf) im Juli 1942 eine Einreiseerlaubnis für die USA bekam. Saul Steinberg avancierte bald zu einem der bedeutendsten Zeichner und Cartoonisten der Nachkriegszeit. Siehe Mario Tedeschini-Lalli: Descent from Paradise: Saul Steinberg's Italian Years, 1933-1941. In: Quest. Issues in Contemporary Jewish History, Nr. 2, Oktober 2011. Online unter http://www.quest-cdecjournal.it/focus.php?id=221 (27.2.2023).
Emil Bahsel, ein Kaufmann aus Wien, hatte Balter in Tortoreto kennen gelernt und verbrachte mit ihm danach auch einige Zeit im Lager Santa Maria al Bagno, bevor sich Bahsel im August 1945 zur Repatriierung entschloss und nach Wien zurückkehrte.
Walter Frankl gelang es im Oktober 1941 in das Lager Castelnuovo di Garfagnana überstellt zu werden, einem „Familienlager“ mit „freier Internierung“, wo er endlich wieder mit seiner Frau, die sich seit seiner Verhaftung in Mailand kümmerlich durchschlagen musste, zusammen sein konnte. Wie schon in Tortoreto verbrachte er auch in Castelnuovo viel Zeit mit der Anfertigung von Vedutenzeichnungen, von welchen noch einige in Privatbesitz und diversen Sammlungen kursieren. Als nach dem Sturz Mussolinis die Deutschen Italien besetzten, konnten Else und Walter Frankl den Nationalsozialisten offenbar nicht mehr entfliehen. Sie wurden im Dezember 1943 zunächst in ein Lager nach Bagni die Lucca verlegt und von dort 1944 über Mailand nach Auschwitz deportiert. Als Zwangsarbeiter in einer Kohlengrube des Außenlagers Janina eingesetzt, überlebte Walter Frankl - wie auch seine Gattin - den Holocaust nicht.
(9)Im Zuge der Auflösung des Lagers von Tortoreto wurden die Inhaftierten in andere Lager verlegt. Wie aus einer Information des Zentralarchivs in Rom hervorgeht, ist Balter am 28. Juni 1943 (zusammen mit anderen Mitgefangenen aus Tortoreto) in jenes von Istonio Marina gebracht worden, das ursprünglich hauptsächlich mit italienischen politischen Gefangenen besetzt war. Erst in den letzten Monaten vor der Schließung diente es auch zur Internierung von anderen „Staatsfeinden“.
(10)In einem Schreiben an Viktor Frankl vom 3.3.1946 erwähnt Balter seine Flucht in die Berge und die Verfolgung durch die Nazis. Die Angaben zu seinen Aufenthalten in den DP-Camps finden sich in den Briefen vom 23.4.1946 und 10.3.1947 sowie in einer Postkarte vom 22.12.1947.
(11)In den Briefen an Viktor Frankl vom 20.6.1948 und 19.7.1948 führt Balter die Gründe für seine Entscheidung zur Emigration nach England aus und berichtet über die notwendige „Willenskraft (…) sich auf einen so nüchternen Beruf umzustellen und noch dazu in einem Klima und Lande das so sehr der romantischen heiteren Elemente des wundervollen sonnigen Italien entbehrt“. Auch seine inneren Konflikte zwischen „Möchten“ und „Müssen“ werden thematisiert, welche in späterer Folge zu akuten psychischen und körperlichen Beschwerden führen sollten, zu deren Heilung er selbst nur einen Weg sah: „Die beste Art der Behandlung wäre natürlich eine möglichst schnelle Änderung des Berufes der einen so unglücklich machte und ich habe auch schon daran gedacht, nach Italien zurückzukehren oder nach Wien, wo ich, wenn schon nicht in meinem früheren Schauspielerberuf, so doch wenigstens in einem intellektuellen Betätigungsfeld wie Zeitung, Radio, oder als Interpret bei einer alliierten Amtsstelle – da ich ziemlich gut Englisch in Wort und Schrift beherrsche – eine Unterkunft finden könnte.“ (Brief vom 8.5.1949)
(12)Der Zeitpunkt der Emigration in die USA ergibt sich aus einem Eintrag in New Yorker Passgierlisten (siehe www.ancestry.com). Zu den anderen Angaben siehe den Beitrag zur Familiengeschichte von Yochanan Ben-Daniel unter „Dokumente".
(13)Mit Antisemitismus und antisemitischen Ausschreitungen waren Jüdinnen und Juden aber sehr wohl in Südtirol konfrontiert. Siehe dazu Cinzia Villani: Zwischen Rassengesetzen und Deportation. Juden in Südtirol, im Trentino und in der Provinz Belluno 1933-1945. Innsbruck 2003.
(14)Zur Situation in Italien siehe Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands, Jg. 22 (2005), Nr. 1/2 und 3, die beide schwerpunktmäßig dem Exil in Italien aus österreichischer Perspektive gewidmet sind. In Heft 1/2 findet sich eine ausgezeichnete Zusammenfassung von Klaus Voigt zum Exil von Österreichern in Italien 1938-1945. Darüber hinaus siehe sein umfangreiches Standardwerk: Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933–1945. 2 Bde., Stuttgart 1989/1993 und Claus-Dieter Krohn (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945. Darmstadt 1998.

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